Bericht über die Verleihung des Thomas-Dehler-Preises 2010
Am 18.Sept 2010 um 19.00 fand in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz München die Verleihung des Thomas-Dehler-Preises 2010 statt.
Die Preisträger waren Dr. med. Reinhard Erös und Annette Erös aus Mintraching nahe Regensburg, die Gründer der Kinderhilfe Afghanistan.
Die Veranstaltung begann mit etwas klassischer Musik, sehr gut vorgetragen und von hoher Qualität.
Nun folgten zwei Reden von Cornelia Schmalz-Jakobsen und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die nicht weiter erwähnenswert sind. Die üblichen Politikerreden, kennt man eine, kennt man alle.
Doch dann wurde die Sache interessant.
Prof. Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München referierte über das hochinteressante Thema der vernetzten Sicherheit.
Das Konzept der vernetzten Sicherheit basiert auf den Erfahrungen, die bei den Einsätzen der letzten Jahrzehnte gemacht wurden.
Das alte Konzept sah vor, dass zuerst ein rein militärischer Einsatz stattfindet und dass nach Abschluss desselbigen eine Wiederaufbauphase angetrieben von zivilen Organisationen beginnt.
Bei der vernetzten Sicherheit sollen sowohl militärische als auch zivile Aktivitäten parallel und in Kooperation unter Einbeziehung der am Einsatzort gegebenen kulturellen, ethnischen, geografischen und politischen Fakten stattfinden.
Prof. Masala erläuterte ausführlich die Schwachpunkte des Konzepts:
Wenn Militär und zivile humanitäre Organisationen kooperieren sollen, bedeutet das einen extremen Zusammenprall der Kulturen.
Diese beiden Kulturen misstrauen sich gegenseitig in hohem Maße.
Des weiteren haben alle Organisationen die Angewohnheit sehr eifersüchtig über ihr Budget zu wachen und darauf zu achten, dass die anderen nicht zu viel Geld bekommen.
Prof. Masala sprach die Empfehlung aus, dass alle Organisationen, sowohl militärische als auch nichtmilitärische, unter einer politischen Führung stehen sollten, die die Finanzhoheit innehaben sollte.
Doch auch bei diesem Plan gibt es große Probleme. Einige humanitäre Organisationen können in Konfliktgebieten nur unter der Voraussetzung absoluter Neutralität überhaupt aktiv werden.
So gab es beispielsweise den Versuch einer Konferenz zwischen NATO und Mediziner ohne Grenzen um über eine Zusammenarbeit zu beraten. Dies wurde von Mediziner ohne Grenzen abgelehnt mit der durchaus glaubhaften Begründung, dass dadurch die Neutralität beendet wäre.
Zum Schluss sagte Prof. Masala, dass seiner Meinung nach das Konzept der vernetzten Sicherheit grundsätzlich gut ist, aber dass noch an einigen Stellschrauben gedreht werden muss, bis es zufriedenstellend funktioniert.
Er betonte auch, dass es sehr wichtig ist die Erfahrungen und die Kritik von Personen wie Dr. Erös in die weitere Planung einzubeziehen.
Nach zwei kurzen Filmen über die Arbeit der Familie Erös trat Dr. Erös ans Rednerpult und erläuterte sehr sachlich, welche Stellschrauben nicht ganz richtig gedreht wurden oder mit anderen Worten: Die Generäle und die Politiker bezogen eine derartige Tracht verbale Prügel, dass sich die Balken biegen. Die Fakten, die hier ans Tageslicht kamen, waren derart haarsträubend, dass es sehr schwer fällt dafür eine angemessene Beschreibung zu finden.
Im folgenden einige Auszüge der Rede:
1. Nachdem er sich bei zahlreichen Leuten bedankt hatte, betonte er ausdrücklich, dass er sich nicht bei den beiden deutschen Botschaften in Afghanistan und Pakistan bedankt, da sie die Arbeit der Kinderhilfe Afghanistan mehr behindert als unterstützt haben.
2. Die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung hat sich seit der Zeit der Talibanherrschaft deutlich verschlechtert. Die einzige Ausnahme bildet eine neu entstandene Elite, die die Hilfsgelder in etwas eigenwilliger Weise verwendet.
3. Nach der Flutkatastrophe im Sommer 2010 in Pakistan (von allen Flutkatastrophen z.B. 1998, 2005 als Folge des Erdbebens, 2006, 2007 die mit Abstand größte) ergab sich folgende Situation:
Nachdem Dr. Erös mit einfachen Lastwägen eine Ladung Hilfsgüter am 9. September 2010 ins Katastrophengebiet nach Barein, wo die Straße endet, gebracht hatte, kam ein Trupp Männer nach einem 8-Stundenmarsch aus einer 30 - 50 km enfernten Siedlung namens Kalam um Hilfsgüter für 600 Familien über unwegsames Berggelände nach Hause zu tragen.
Die Hilfsgüter waren in 55kg-Pakete portioniert. Mit einem solchen Paket kann eine Familie einen Monat überleben.
Dr. Erös sagte den Leuten, es ist unmöglich 55kg über eine Distanz von 50km zu tragen. Antwort: "Stimmt, da müssen wir 2 Mal gehen." Dr. Erös mietete für die Männer eine Anzahl Esel, da kaufen aufgrund der durch die Flutkatastrophe stark gestiegenen Preise unmöglich war, und so musste jeder Mann nur noch 20kg auf dem Rücken tragen, den Rest trugen die Esel. Für den Rückweg benötigte der Trupp ca. 13 Stunden.
Mit Transporthubschraubern wäre die Sache deutlich schneller erledigt worden, aber die pakistanische Armee besitzt nur Kampfhubschrauber und keine Transporthubschrauber. In Afghanistan waren Transporthubschrauber der Bundeswehr und der US-Streitkräfte in einigen hundert Kilometer Entfernung stationiert, aber eine entsprechende Hilfeleistung wurde unterlassen.
Die nächsten beiden Auszüge stammen aus einem Vortrag vom 20.September 2010 in Regensburg.
4. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Afghanistan hat keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
Und last but not least:
5. Mit Hilfe deutscher Verkehrspsychologen wurde ein Warnschild entworfen, das den Zweck haben sollte, dass die Autofahrer Abstand zu Militärfahrzeugen halten sollen. Die Bilder auf dem Schild sind aber völlig unverständlich gestaltet. Es steht zwar die Aussage "Abstand halten" in 2 lokalen Sprachen auf den Schildern, aber die Mehrheit der Leute kann nicht lesen und interpretiert die Bilder in anderer Weise. Folglich fahren die Autofahrer, die nicht lesen können, direkt auf die Militärfahrzeuge zu und werden erschossen. Auch eine Methode um die Anzahl der Analphabeten zu verringern.
usw., usw.,...
Man könnte diese Liste noch eine Zeitlang weiterführen, doch wer darüber genaueres wissen möchte, hat 3 Möglichkeiten:
a) Die Website
www.kinderhilfe-afghanistan.deb) Die Bücher von Dr. Erös
c) Besuchen Sie einen der Vorträge von Dr. Erös. Es lohnt sich.
Für Frau Elke Hoff MdB, Obfrau im Verteidigungsausschuss des deutschen Bundestags fand Dr. Erös trotz zahlreicher Meinungsverschiedenheiten einige lobende Worte, da sie die einzige Politikerin in Deutschland (und teilweise international) ist, die über Afghanistan wirklich Bescheid weiß. Frau Hoff war persönlich vor Ort und hat sich selbst ein Bild der Lage im Hinterland Afghanistans weit entfernt von Kabul gemacht, im Gegensatz zu einigen anderen Politikern, die ein paar Stunden im Hochsicherheitstrakt der Bundeswehr in Kabul verbringen und dann im Fernsehen als Afghanistanexperten auftreten, was wiedermal (wen wunderts?) ein Zeichen für die Qualität im deutschen Fernsehen ist.
Als nächstes gab es einen Auftritt des Weltklasse-Sufi-Musikers Daud Khan Sadozai, der mit einem begeisterten Applaus beantwortet wurde.
Im Laufe der Veranstaltung trat der Musiker noch ein zweites Mal auf, worauf es wieder begeisterten Applaus gab.
Nun war die Reihe an Frau Hoff die Laudatio zu halten. Im Rahmen dieser Lobrede erwähnte sie noch ein sehr wichtiges Detail:
Die Kollateralschäden der humanitären Organisationen
Wenn eine humanitäre Organisation in einer Stadt eine Basis einrichtet, explodieren die Mietpreise und die Lebensmittelpreise verdoppeln sich, aber das Einkommen der meisten Einwohner bleibt gleich, was die humanitäre Situation vor Ort deutlich verschlechtert.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung gab es noch die üblichen Formalitäten, wie Preisverleihung, Antwort der Preisträger und etwas Musik.
Den Abschluss bildete schließlich ein Empfang, in dessen Verlauf die Zuschauer allmählich den Heimweg antraten.
Alles in allem ein Abend, der sich mehr als gelohnt hat.
Robert Rickler,
1. Pressesprecher des " Freundeskreis Israel in Regensburg und Oberbayern e.V."