09. November 2004
Gedenken zur Pogromnacht am 09.11.1938
In Gedenken an die Toten und in Erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte
Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht und nicht die Mörder vergessen! ...Klabund
In der Nacht zum 10. November 1938 wurde sichtbar, was bereits schon Jahre vorher seinen Anfang nahm, stufenweise, gelenkt, geplant und organisiert.
Die Stufen der nationalsozialistischen Judenverfolgung waren Ächtung, Entrechtung, Drangsalierung und Ermordung.
Der 10. November 1938 zeigte das Stadium der zerstörerischen Gewalt ganz offen und bewußt, es war die letzte Vorstufe zur Deportation der deutschen Juden in die Vernichtungslager.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, Geschäfte wurden verwüstet, jüdische Passanten mißhandelt oder getötet, bestenfalls verhaftet.
Deutsche Juden, ausgestoßen, geächtet, öffentlich diskriminiert, so konnte das unbarmherzige, grauenvolle Regime damit die letzte Stufe angehen, die Vernichtung der deutschen und europäischen Juden im Gas der Konzentrationslager.
Nichtjüdische Freunde waren plötzlich Feinde, chrisltiche Kirchen verschlossen ihre Pforten, ein ganzes Volk sah zu. Es sollte so sein, denn nichts wurde geheim gehalten.
Zahlreiche willige Helfer, darunter Freunde und Bekannte, die Arbeitskollegen jüdischer Familien, setzten Synagogen in Brand, warfen das Mobiliar jüdischer Wohnungen aus den Fenstern, zerstörten, bedrohten und mißhandelten.
Ein Volk sah zu. Laßt die Vergangenheit ruhen, sagen einige Deutsche mittlerweile. Andere unternehmen den Versuch das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte umzuschreiben.
Die schrecklichen Geschehnisse des deutsch-nationalsozialistischen Regimes unter der Mitwirkung seines Volkes darf jedoch kein Vergessen finden. Wer seine Geschichte nicht aufarbeitet, wird immer wieder an ihr scheitern. Die Erinnerung muss im Zentrum unserer politischen Verantwortung und unseres Denkens stehen. Oft zeigen wir Ansätze, trotzdem konnte ein neuer Antisemitismus in unserem Land entstehen. Wir sind dazu aufge-rufen ihn zu bekämpfen, zu verachten und auszumerzen.
Hass-Seiten im Internet scheuen nicht vor Vergleichen israelischer Politik mit der des NS-Regimes. Die Geschehnisse des 9. Novembers haben auch mit unserem Verhältnis zu Israel zu tun. Gerade in Israel leben auch die direkten Nachkommen deutscher Juden, denen die Flucht noch rechtzeitig gelungen war. Gerade das Volk Israel benötigt unser Verständnis, unser Einfühlungsvermögen. Denn es wird weiter bedroht, durch palästinensische und arabische Extremisten. Gleichzeitig blüht in Europa ein neuer Antisemitismus auf.
Amos Oz in der "Zeit" vom 28.10.2004:
"...Ich bin das Kind von Leuten, die aus Europa rausgeworfen wurden, obwohl sie es geliebt und vielleicht sogar dazu beigetragen haben, dass die Vorstellung eines vereinten multikulturellen Europas entstehen konnte. Europa muss beiden Seiten ernsthaft helfen und darf nicht mit dem Zeigefinger herumwedeln oder Noten verteilen..."
Genau das was Amos Oz ausführt, sollte insbesondere für uns in Deutschland gelten. Gerade wir sollten uns vor ungerechter Kritik hüten, denn Israel braucht und erwartet eins, unsere Solidarität.
Wir gedenken zutiefst der Geschehnisse des 9.November 1938. Über diesen jährlichen Gedenktag hinaus müssen wir jedoch handeln, wachsam sein und bleiben. Das sind wir den Toten und den Überlebenden schuldig.
Auch rechte Neonazi-Parteien konnten sich in unserem Land wieder schleichend etablieren. Wehret den Anfängen.
Ich wünsche mir ein waches Deutschland und den Aufstand der Anständigen. Nie wieder Faschismus, nie wieder Antisemitismus!
Monika Schmitz
ZUM ERINNERN AN DIE POGROMNACHT VOM 09.11.1938 (Monika Schmitz)
Am Dienstag, den 09.11. dieses Jahres nahm ich diesmal an einer Gedenkveranstaltung in Bergisch Gladbach teil.
Die Kreisstadt Bergisch Gladbach liegt geographisch am östlichen Rand der Kölner Bucht und die Einwohnerzahl beträgt ca. 108.000
Unsere Freunde Magda Gatter und Wolfgang Kondruss organisieren diese Veranstaltung nun schon seit vielen Jahren. Am Konrad Adenauer Platz, dem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, stellten Magda und Wolfgang Kerzen in Form eines Davidsterns auf. Etwas 55 Personen, darunter auch Honoratioren und Vertreter der Stadt waren anwesend.
Wolfgang Kondruss moderierte mit Unterstützung eines pensionierten evangelischen Pfarrers die Gedenkstunde, ein Künstler spielte einige jiddische Weisen und eine sehr begabte Sängerin beendete die Veranstaltung mit einem wehmütig klingenden jüdischen Klagelied. Alles war sehr beeindruckend und doch still, eine Gedenkstunde geprägt von Einfühlungsvermögen und tiefer Trauer der anwesenden Gäste.
Magda Gatter und Wolfgang Kondruss hatten eine Zeittafel über anti-jüdische Gesetze, Erlasse und Verordnungen, beginnend mit dem 30.01.33 und endend mit dem 08.05.45 erstellt, die von zwei Schülern verlesen wurden.
Hier seien sie nochmals erwähnt, zur Erinnerung und zur Mahnung:
30.1.33:
Adolf Hitler wird Reichskanzler
05.03.33:
Reichtagswahl, Einzelaktionen gegen Juden
24.03.33:
Der Reichstag ermächtigt Hitler, an seiner Stelle Gesetze zu erlassen (Ermächtigungsgesetz)
01.04.33:
Eintägiger Boykott jüdischer Geschäfte
07.04.33:
"Nichtarische" Beamte werden in den Ruhestand versetzt
21.04.33:
Das rituelle Schächten wird verboten
25.04.33:
Die Neuaufnahme von "Nichtariern" an Schulen und Hochschulen wird eingeschränkt
06.06.33:
Im Deutschen Reich leben rund 500.000 Juden
04.07.33:
"Unerwünschten" kann die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden
02.08.34:
Reichspräsident von Hindenburg stirbt. Hitler macht sich als "Führer" zum "Staatsoberhaupt"
06.03.35:
Wiedereinführung der Wehrpflicht
06.09.35:
Der Verkauf jüdischer Zeitungen im Straßenhandel wird verboten
05.09.35:
Nur Staatsangehörige "deutschen oder artverwandten Blutes" können "Reichsbürger" werden.
Juden dürfen "Staatsangehörige deutschen Blutes" nicht heiraten.
Juden dürfen deutsche "arische" Hausangestellte unter 45 Jahren nicht beschäftigen (Nürnberger Gesetze)
09.35:
Alle jüdischen Beamte werden "beurlaubt"
07.03.36:
Juden besitzen kein Reichtagswahlrecht; Wiederbesetzung des Rheinlandes
01.08.36:
Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin.
02.07.37:
Weitere Einschränkung der Zahl jüdischer Schüler an deutschen Schulen
06.11.37:
Juden erhalten nur noch in besonderen Fällen Auslandspässe.
03.03.38:
Einmarsch deutscher Truppen in Österreich
06.04.38:
Juden müssen ihr Vermögen abgeben
06.07.38:
Juden werden bestimmte Gewerbe untersagt (z.B. Makler, Heiratsvermittler, Fremdenführer)
03.07.38:
Juden müssen ab 01.01.39 Kennkarten bei sich führen
05.07.38:
Jüdische Ärzte gelten ab 30.09.38 nur noch als "Krankenbehandler"
07.07.38:
Alle jüdischen Straßennamen werden entfernt
07.08.38:
Juden dürfen ab 01.01.39 nur noch jüdische Vornamen haben.
Wenn sie deutsche Namen führen, müssen sie zusätzlich den Namen "Israel" bzw. "Sara" angeben
05.10.38:
Jüdische Reisepässe werden mit einem "J" versehen
28.10.38:
Rund 15.000 "staatenlose" Juden werden nach Polen abgeschoben
07.11.38:
Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Gesandschaftsrat von Rath in Paris
08.11.38:
Erste Ausschreitungen gegen Juden
09.11.38:
V. Rath stirbt. Beginn des Pogroms.
10.11.38:
Pogrom (Nacht vom 09./10.11. "Reichskristallnacht)
11.11.38:
Juden dürfen Waffen weder besitzen noch führen
12.11.38:
Der Gesamtheit aller deutschen Juden wird eine Sühneleistung von 1 Milliarden Reichsmark auferlegt
Juden müssen alle Schäden des Pogroms auf eigene Kosten sofort beseitigen
Juden dürfen keine Geschäfte und Handwerksbetriebe mehr führen
Juden dürfen keine Theater, Lichtspielhäuser, Konzerte und Ausstellungen mehr besuchen
15.11.38:br> Alle jüdischen Kinder werden aus deutschen Schulen entfernt
23.11.38:
Alle jüdischen Betriebe werden aufgelöst
28.11.38:
Juden dürfen sich ab sofort zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Gebieten nicht mehr bewegen
03.12.38:
Juden werden Führerscheine und Zulassungspapiere für Kraftfahrzeuge entzogen
03.12.38:
Juden müssen ihre Betriebe verkaufen, ihre Wertpapiere und Schmucksachen abliefern
08.12.38:
Juden dürfen keine Universitäten mehr besuchen
15.03.99:
Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei
30.04.39:
Der Mietschutz für Juden wird eingeschränkt
17.05.39:
Im Deutschen Reich leben noch rund 215.000 Juden
04.07.39:
Juden müssen sich in einer "Reichsvereinigung der Juden" zusammenschließen
01.09.39:
Beginn des Zweiten Weltkriegs
Juden dürfen im Sommer nach 21.00 Uhr und im Winter nach 20.00 Uhr die Wohnung nicht mehr verlassen
21.09.39:
Juden-Pogrome in Polen
23.09.39:
Alle Juden müssen ihre Rundfunkgeräte bei der Polizei abliefern
12.10.39:
Deportation von Juden aus Österreich nach Polen
19.10.39:
Die Sühneleistung der Juden wird auf 1,25 Milliarden Reichsmark erhöht, letzter Zahlungstermin ist der 15.11.39
23.11.39:
Einführung des Judensterns in Polen
06.02.40:
Juden erhalten keine Kleiderkarte
12.02.40:
Erste Deportation deutscher Juden
29.07.40:
Juden dürfen keinen Fernsprechanschluss mehr besitzen
12.06.41:
Juden dürfen sich nur noch als "glaubenslos" bezeichnen
31.07.41:
Beginn der "Endlösung"
01.09.41:
Juden müssen einen Judenstern tragen. Sie dürfen ohne polizeiliche Genehmigung ihren Wohnbezirk nicht mehr verlassen
14.10.41:
Beginn der allgemeinen Deportationen aus Deutschland
26.12.41:
Juden dürfen öffentliche Fernsprechstellen nicht mehr benutzen
01.01.42:
Im Deutschen Reich leben noch rund 130.000 Juden
10.01.42:
Juden müssen alle Woll- und Pelzsachen aus ihrem Besitz abliefern
17.02.42:
Juden dürfen keine Zeitungen und Zeitschriften beziehen
26.03.42:
Jüdische Wohnungen müssen durch einen Judenstern neben dem Namensschild kenntlich gemacht werden
24.04.42:
Juden ist die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel untersagt
15.05.42:
Juden ist das Halten von Hunden, Katzen, Vögeln usw. verboten
29.05.42:
Juden ist der Besuch von Friseurgeschäften verboten
09.06.42:
Juden müssen alle entbehrlichen Kleidungsstücke abliefern
11.06.42:
Juden erhalten keine Raucherkarten
19.06.42:
Juden müssen alle elektrischen und optischen Geräte, sowie Schreibmaschinen und Fahrräder abgeben
20.06.42:
Alle jüdischen Schulden werden geschlossen
17.07.42:
Blinde und schwerhörige Juden dürfen keine Armbinden zur Kennzeichnung im Verkehr mehr tragen
18.09.42:
Juden erhalten kein Fleisch, keine Eier und keine Milch mehr
04.10.42:
Alle Juden aus deutschen Konzentrationslagern werden nach Auschwitz verlegt
21.04.43:
Straffällige Juden sind nach Verbüßung einer Strafe dem KZ Auschwitz oder Lublin zuzuführen
01.09.44:
Im Deutschen Reich leben noch rund 15.000 Juden
13.11.44:
Juden ist die Benutzung von Wärmeräumen verboten
08.05.45:
Ende des Zweiten Weltkriegs. Zusammenbruch des Deutschen Reichs.
Damit dieses schreckliche Geschehen im Gedächtnis bleibt, und wir wachsam bleiben, dass solches nie wieder geschieht, laden wir die Bergisch Gladbacher Bürger zu dieser stillen Gedenkstunde ein, denn wieder wächst Antisemitismus in unserem Land, lautete der Text der Einladung.
In diesem Sinne
Monika Schmitz
Gedenkveranstaltung zum 9. November 2004 in Essen (Bericht von Dirk Bungart)
liebe freundinnen und freunde,
hier kommt nun endlich mein bericht von der gedenkveranstaltung zum 09. november in essen.
die schilderung muss mit dem morgen des gestrigen tages beginnen. neonazis haben geplant an diesem traurigen tag eine demonstration vor der alten synagoge essen durchzufuehren. der polizeipraesident hat diese demonstration verboten was mit allgemeiner erleichterung zur kenntnis genommen worden ist. trotzdem sollte man dieses ereignis nicht gering bewerten, zeigt es doch was sich nazis in diesem land inzwischen wieder trauen. gut ist es allerdings auch das es eine so breite bewegung gegen rechts gibt, wenn es auch nicht der "aufstand der anstaendigen" ist wie paul spiegel bei der grundsteinlegung zur neuen synagoge in gelsenkirchen betonte. so bleibt auch diese grundsteinlegung ein zeichen der hoffnung und bedrohung zugleich, eine hoffnung weil diese grundsteinlegung gerade am gestrigen tag erfolgte, bedrohung angesichts der gefaehrdung juedischen lebens in deutschland die nicht geringer, sondern groesser wird.
"weil erinnerung wie zukunft gleichermassen wichtig sind, soll das diesjaehrige programm die geschichte in erinnerung rufen, aber zugleich die bruecken zu gegenwart und zukunft schlagen und somit neugierig auf neues machen.
wie in vielen jahren zuvor, steht auch in diesem jahr die beteiligung junger menschen im mittelpunkt. durch junge menschen wird das erinnern in die zukunft weitergetragen".
das lauten die ersten saetze in der einladung zur gedenkveranstaltung zum 09. november 2004 in der alten synagoge essen.
auch wegen der vorgaenge am morgen des gestrigen tages war diese veranstaltung wieder einmal nur unter hoechsten sicherheitsvorkehrungen moeglich, angefangen von abriegelung des gebaeudes durch die polizei bis hin zur eingehenden untersuchung der menschen die zu dieser veranstaltung gekommen sind. doch: die alte synagoge war voll von menschen, so voll das es keine stuehle mehr gab und viele besucherinnen und besucher die veranstaltung stehend oder auf dem boden sitzend beiwohnten. es waren ca. 150 - 200 menschen anwesend, auch dies war ein zeichen der solidaritaet fuer die alte synagoge essen und die juedische kultusgemeinde essen.
auffallend war die vielzahl von jungen menschen. das hat sicherlich auch damit zu tun das die hauptakteure der gestrigen veranstaltung keine politikerinnen und politiker, sondern schuelerinnen und schueler der frida-levy-gesamtschule in essen waren. diese schule traegt nicht zufaellig den namen einer bedeutenden juedischen persoenlichkeit, die "vergangenheit die nie vergeht" ist auch fester bestandteil des lehrplanes" einige ergebnisse waren gestern zu sehen, zuwohl in musikalischer hinsicht, als auch in einem theaterstueck - nichts bleibt wie es war - das sich engagiert mit den themen antisemitismus und rassismus auseinander gesetzt haben. man konnte merken das den schuelerinnen und schuelern sehr viel daran lag ihre opposition gegen diese form der menschenfeindlichkeit zum ausdruck zu bringen.
den abschluss dieser beeindruckenden gedenkveranstaltung bildete die eroeffnung der ausstellung "essen in 20 jahren" in der schuelerinnen und schueler sich gedanken um die zukunft ihrer stadt gemacht haben - sehr engagierte arbeiten sind dabei herausgekommen.
zusammenfassend laesst sich sagen das es eine sehr beeindruckende und gelungene veranstaltung war die gerade durch das engagement der jungen menschen hoffnung auf eine zukunft juedischen lebens in deutschland gemacht hat - trotz aller bedenken und dunkler wolken.
(dirk bungart)
Regina Wagner am Sept. 11, 2004, midnight in
Gedenken